»Jeder Mensch ist etwas Besonderes.«

Vorwort

2018 begab ich mich auf einen Weg, der mich nachhaltig verändert hat. Als die Abschlussarbeit im Kommunikationsdesign plötzlich bevorstand, stand gleichzeitig die Frage im Raum, welchem Bereich ich mich widmen und welches Thema es werden würde. Schon die ganze Studienzeit über begleitete mich ein roter Faden, der sich durch alle Bereiche hindurch schlängelte: das Thema Reisen. So, wie ich bin, kam es nicht in Frage, mir nur was auszudenken und 6 Monate lang Zuhause zu hocken. Ich wollte was erleben. Auch kristallisierte sich in den Jahren, während ich Kommunikationsdesign studierte, meine Faszination für Buch- und Magazingestaltung heraus, und so war klar, dass meine Abschlussarbeit drei Bereiche vereinen würde: das Reisen, ein Magazin und Fotografie (an die ich mein Herz seit dem 15. Lebensjahr verlor). Ich begab mich auf den portugiesischen Jakobsweg, um das Land anhand der Menschen und ihrer Geschichten zu porträtieren.

Nun, da stand ich. Es war Anfang April. Der Frühling schwebte in der Luft und die ersten warmen Sonnenstrahlen umarmten die Menschen Lissabons. Ich strandete im verträumten Viertel Alfama vor einem niedlichen Kunstladen, der schnell mein Interesse weckte. Ich ging rein und fasste all meinen Mut zusammen, den ich besaß, die Inhaberin nach ihrer Story zu fragen. Alexandra Pinto Rebelo schenkte mir ein Lächeln. Während sie mir erzählte, wie es zu ihrem süßen Laden kam und was die Kunst für sie bedeutet, fotografierte ich ganz gebannt Alexandras Laden. Ihre Geschichte berührte mich, so dass ich sie bat, sie mir per E-Mail zukommen zu lassen für mein Magazin. Ihre Geschichte möchte ich teilen. Überhaupt möchte ich Geschichten teilen, die mich berühren. Die mich inspirieren. Die das Leben lebenswert machen.

Alexandra: In Portugal hatten wir vor fünf Jahren eine Wirtschaftskrise und zu dem Zeitpunkt habe ich mei- nen Job als Lehrerin verloren. Obwohl ich an der Universität portugiesische Literatur studiert hatte, hatte ich zum Glück immer ein Talent zum Malen. Da ich nun ohne Job da stand, musste ich etwas tun. Also habe ich vor drei Jahren beschlossen, meine eigene kleine Kunstgalerie zu eröffnen. Ich denke, wenn wir malen, legen wir nicht nur Spuren und Tinte auf ein Papier, sondern vielmehr spiegeln sich unsere Kultur und unsere Geschichten, Gefühle drauf wider. In Lissabon sind wir eng mit der Mythologie unserer Stadt verbunden. Laut unseren Liedern ist Lissabon eine Frau. Dies ist eine sehr alte Vorstellung, die aus der Antike stammt. Auf diese Art und Weise versuche ich in meinen Bildern, das Gefühl einer Person zu vermitteln – einer Stadt, die sich bewegt, wenn wir vorbeigehen, die ihre Stimmungen hat, genau wie wir. Meine Galerie ist auch mein Atelier, wo ich den Tag mit Malen, vor allem mit Aquarellmalerei verbringe. Auf diese Weise habe ich eine sehr direkte Beziehung mit der Öffentlichkeit. Es ist sehr gut, sich mit Menschen aus so unterschiedlichen Ländern wie Argentinien, Deutschland oder China austauschen zu können. In diesen täglichen Dialogen sind vor allem junge Leute immer wieder eine gute Überraschung.

Es war ein französisches Pärchen, das aussah, wie die Schauspieler aus den 50er Jahren. Wir hatten eine gute Unterhaltung mit viel Gelächter. Nach einer Weile nahm er ein Bild mit Blick auf Santa Luzia, einem Aussichtspunkt. Sie erzählten mir ganz aufgeregt, sie hätten eine Wohnung gemietet, von wo sie aus dieselbe Aussicht hätten. Am nächsten Tag standen sie auf dem Bürgersteig vor meinem Laden und wollten sich nochmal verabschieden. Mit theatralischen Gesten erzählte mir der Herr, dass sie das Gemälde so sehr geliebt hatten, dass er es aus der Verpackung holte und es an die Wand der Wohnung hängte. Und ich schrie: »J ’adore!«. An diesem Morgen, nach einem Monat, kam wieder eine Französin mit ihren Kindern in den Laden. Sie erzählte mir, dass sie sich eine Wohnung gemietet hätte, die ein Bild von mir an der Wand mit Blick auf Santa Luzia habe ... Nun verstand ich die ganze Geschichte des Gemäldes.

Ein Australier kam schnell wie ein Pfeil geschossen in den Laden rein. »Ich will die Kachel im Fenster haben!« Als ich ihm die anderen zeigte, gab er ein tiefes »Oh, shit!« – Oh, shit ist ein alter australischer Ausdruck, der in diesem Fall übersetzt werden kann durch »Ich war fest entschlossen, diese eine Fliese zu kaufen und jetzt sehe ich, dass alle Fliesen von Maria João Peres wunderschön sind und jetzt kann ich mich einfach nicht entscheiden«.

Gestern hat ein kleines Mädchen, Beatriz, in meinem Laden Zuflucht vor der warmen Sonne gesucht, während ihr Vater Sachen trug. Sie ist gerade in die 2. Klasse gekommen und auf meine Frage, ob sich alle in ihrem Klassenzimmer gut benahmen, sagte sie ja. Alle, außer einem Schüler. »Aber er ist ein besonderes Kind«, beeilte sie sich zu rechtfertigen. Ich realisierte, was sie meinte oder besser gesagt, was die Lehrer den Kindern so einläuteten, aber ich fragte sie, »Und du bist es nicht?« Sie schaute mich nachdenklich an und sagte, »Wir sind nur etwas Besonderes für unsere Eltern, aber er ist etwas Besonderes für alle.« »Naja, weißt du? Für mich sind alle Kinder etwas Besonderes«, meinte ich dann zu ihr. Ich hoffe, ich habe sie damit nicht zu sehr verwirrt ... aber manchmal sind die Grundlagen, die wir Menschen schaffen, einfach verwirrend und nicht richtig, D E N N J E D E S K I N D , J E D E R M E N S C H I S T E T W A S B E S O N D E R E S .

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Tabula Rasa oder: mein Weg raus aus dem Social Media Dschungel