Pulpo in Padrón
Vorwort
2018 begab ich mich auf einen Weg, der mich nachhaltig verändert hat. Als die Abschlussarbeit im Kommunikationsdesign plötzlich bevorstand, stand gleichzeitig die Frage im Raum, welchem Bereich ich mich widmen und welches Thema es werden würde. Schon die ganze Studienzeit über begleitete mich ein roter Faden, der sich durch alle Bereiche hindurch schlängelte: das Thema Reisen. So, wie ich bin, kam es nicht in Frage, mir nur was auszudenken und 6 Monate lang Zuhause zu hocken. Ich wollte was erleben. Auch kristallisierte sich in den Jahren, während ich Kommunikationsdesign studierte, meine Faszination für Buch- und Magazingestaltung heraus, und so war klar, dass meine Abschlussarbeit drei Bereiche vereinen würde: das Reisen, ein Magazin und Fotografie (an die ich mein Herz seit dem 15. Lebensjahr verlor). Ich begab mich auf den portugiesischen Jakobsweg, um das Land Portugal anhand der Menschen und ihrer Geschichten zu porträtieren. Dieser ereignete sich, als ich bereits die grenze zu Spanien passiert hatte.
Die kleine Stadt Padrón im spanischen Galicien ist berühmt für ihre kleinen Pimentos de Padrón. Ein paar Tage zuvor lernte ich Carmen kennen, die mich auf dem letzten Teil des Jakobwegs begleitet hat. Wir sind zwar nicht jeden Tag zusammengewandert, trafen uns aber immer spätestens bei der Unterkunft. An jenem Tag waren wir mit ihren beiden Freunden, mit denen sie ihren Weg gestartet hatte, auf dem Markt in Padrón verabredet. Auf der Suche nach der berühmten Pimentos Marmelade, trieben wir uns auf einem Markt herum, wo es massig Pulpo, also Tintenfisch, zu kaufen gab. Der Grillgeruch lag in der Luft und weckte den Hunger bei Benny, einem der Freunde von Cami. Kein fünf Minuten später befanden wir uns in einem der Zelte und warteten auf die Leckerei. Zugegeben, zu diesem Zeitpunkt konnte ich mit dem achtfüßigen Freund noch nichts anfangen, während Benny es kaum erwarten konnte, sich diese Köstlichkeit einzuverleiben. Als wir da so standen und warteten, ließ ich meinen Blick durchs Zelt gleiten und blieb an zwei älteren Männern hängen, die sich unterhielten. Sie saßen sich gegenüber, aßen Pulpo und tranken roten Wein aus kleinen Schalen. Ihre Gesichter zierten glückliche Falten um die Augen, jene, die man als Krähenfüße bezeichnet und mir sagen, dass man viel gelacht hat in seinem Leben. Und irgendwie hatten sie etwas »jungenhaftes« an sich. So, als wären sie gar nicht so alt. Mein Fotodetekor sprang an und ich wollte diesen Anblick so gerne festhalten, wäre da nur nicht meine Unsicherheit gewesen, die sich mir in den Weg stellte. Ich erzählte Carmen von meiner Entdeckung und meinem fehlenden Mut. Carmen, die keine Scheu hegt und zudem auch fließend spanisch sprechen konnte, schubste mich liebevoll in deren Richtung und keine Minute später standen wir dann auch schon vor den beiden Herren. Ich machte meine Fotos und wir kamen kurz in Gespräch. Glücklich über die Bilder, wollten wir uns dankend wieder verabschieden, doch die beiden wollten uns nicht gehen lassen und luden uns zum Weintrinken ein, um uns näher kennenzulernen. Ein Nein wurde nicht akzeptiert und so saßen wir kurze Zeit später alle zusammen am Tisch und unterhielten uns.
Laurenzio (rechts vom Tisch), hatte vom vielen Wein bereits leicht einen sitzen. Immer wieder erhaschte ich, wie er mich nicht aus dem Blick ließ. Fernando und Laurenzio, beide geboren in Padrón, lernten sich 1964 im Militär kennen und sind seitdem gute Freunde geblieben. Laurenzio hatte einen hohen Posten im Militär, wo er seinem Kumpel ebenfalls eine gute Position verschaffte. Nach Jahren treuer Dienste für ihr Land hatten sie gemeinsam viel erreicht. Doch nun, da ihre militärische Laufbahn ein Ende fand, standen sie vor einer wegweisenden Entscheidung: Wie sollten sie ihr Leben jenseits der Uniform gestalten? Es war noch jene Zeit, in der man einen Beruf anfing und ihn dann meist bis ins Rentenalter ausübte. Tatsächlich trennten sich vorerst ihre Wege, doch der Kontakt blieb erhalten. Laurenzio zog nach Barcelona, wurde Taxifahrer, heiratete und bekam Kinder, die nun auf der ganzen Welt zerstreut sind, wie er uns ganz stolz berichtete. Fernando blieb in Padrón und wurde Tischler. Auch er heiratete und bekam Kinder. Dann schweifte er weiter in die Vergangenheit ab und musste lachen, als die Erinnerungen an seine Kindheit zurückkehrten – an die Tage, an denen er mit seinen Freunden auf dem Platz in der Nähe spielte und sich regelmäßig vor der Maisernte drückte, nur um das Spiel nicht unterbrechen zu müssen. Jetzt, knapp 70 Jahre später, sitzen sie hier und genießen das Leben. Sie machen einen Roadtrip und fahren durch die ganze Gegend um Padrón herum. Laurenzio hat hier noch eine Ferienwohnung, die er nutzt, wenn er von Zeit zu Zeit heimkehrt und dabei Fernando besucht, um in Erinnerungen zu schwelgen.
Ich wollte wissen, ob die beiden sowas wie beste Freunde wären. Fernando sah seinen Freund an und antwortete mit einem verschmitzten Grinsen im Gesicht: »Er ist cool, aber immer Betrunken.« Denn beim Roadtrip darf immer Fernando fahren, während sein Freund sich genüsslich den Wein schmecken lässt. Der angetrunkene Laurenzio ließ sich aber darauf gar nicht erst ein. Sein Blick blieb unverändert auf mich gerichtet, und schließlich übersetzte Carmen, mit einem breiten Grinsen im Gesicht, seine Worte: Wäre er in meinem Alter, würde er mich heiraten wollen. Ich winkte peinlich berührt ab und wir kamen langsam zu einem Ende – nach fast zwei Stunden, die mittlerweile vergangen waren. Fernando gab uns noch seine Adresse, denn er würde sich freuen, wenn wir ihm schreiben würden. Er erzählte von einem weiteren Brieffreund, der ihm auf englisch schreibt. Auch, wenn er nichts versteht: Er freut sich einfach, dass da jemand ist, der ihm aus einer anderen Welt schreibt. Und ganz plötzlich entstand aus einer spontanen Begegnung eine schöne Geschichte. Eine Geschichte einer Freundschaft.