Von Unvollkommenheit und unerwarteten Begegnungen —

Porto, 8. April 2018 – 6:45 in einem Hostel. Ich stehe auf, müde und unmotiviert. Auch wenn ich es schon weiß, gehe ich zum Fenster und finde die Bestätigung in den Regentropfen, die ein Rennen an der Fensterscheibe veranstalten. Die Motivation sinkt. Und doch finde ich genügend Motivation erstmal duschen zu gehen. Also tapse ich den dunklen Gang entlang und springe unter die Dusche. Freudig, es geschafft zu haben, greife ich nach meinem Handtuch – ins Leere. Verdammt! Ich hab das Tuch im Zimmer vergessen. Na, fängt ja gut an. Also tapse ich in der Hoffnung, dass niemand aus seinem Zimmer kommt, mit nacktem Arsch und etwas Stück Stoff, das ich finden konnte, wieder den Gang entlang zurück ins Zimmer. Eine halbe Stunde später ist mein Kram zusammengepackt. Ich schlüpfe in meine vom Vortag nass gewordenen Wanderschuhe (weil ich mir unbedingt die Stadt ansehen wollte) und stülpe den Rucksack über meine Schultern. Nach etwa 100 Metern bleibe ich unter einer Markise eines Geschäfts stehen und frage mich: Was mache ich eigentlich hier?

So fing meine Erfahrung auf dem portugiesischen Jakobsweg an. Ein paar Monate zuvor rückte das letzte Semester näher und somit die Entscheidung, was das Thema meiner Abschlussarbeit werden sollte. Ich wusste, dass es ein Magazin werden würde. Und dass ich meine Fotografie auf irgendeine Weise mit einbinden wollte wusste ich auch. Mir kam die Idee, dass ich gerne zwar ein Reisemagazin machen wollte, aber nicht ein auf: tu dies, iss das, sieh dir jenes an. Sondern eine Art Länderportrait aus der Sicht von den Einwohnern und den Reisenden. Und weil es authentisch werden sollte und ich nicht viel Geld hatte, entschied ich mich also 240 km von Porto nach Santiago zu wandern.

Ich lernte einen Teil des Landes zu Fuß kennen. Kam ins Gespräch mit Einwohnern und Reisenden. Sammelte Eindrücke, Texte und Aufnahmen. Jeden Tag die gleiche Routine. Jeden Tag in den Tag hineingelebt. Jeden Tag mein Rucksack, neue Erkenntnisse und ich.

Oft haben wir das Gefühl, als wären wir von einem Tag in den nächsten gesprungen, ohne ihn richtig bewusst wahrgenommen zu haben, was so viel bedeutet, wie ein weiteres Datum in unserem Kalender, ohne besondere Bedeutung. Doch eben im alltäglichen Leben passieren diejenigen zufälligen Begegnungen, die alles verändern können, wenn wir aus dem Tunnelblick auftauchen.

Mich prägen einige Geschichten bis heute. Ein Mann, der einen Motorradunfall hatte mit Prognose nie wieder lauffähig zu sein, erzählte mir, wie er seine Hoffnung nicht aufgegeben und es geschafft hat. Eine ältere Frau, der gekündigt worden ist und wie sie dadurch ihren Traum verwirklicht hat, ein kleines Künstleratelier zu eröffnen. Und auch meine eigenen Strapazen beim wandern prägen mich bis heute. Ich lernte jeden Tag dankbar zu sein, es geschafft zu haben, trotz schmerzender Füße und Muskelkater. Freute mich über die kleinen Dinge im Leben. Freute mich über das Gefühl von Verbundenheit mit mir fremden Menschen. Die Bereitschaft sich gegenseitig zu helfen. Die eigene Energie zu feiern.

Und ich lernte meine beste Freundin kennen. Einen Menschen, ohne den ich nicht mehr leben möchte. Ich erinnere mich noch immer an den Abeschied und wie ich am Vortag diese besondere Fliese entdecke, doch war mal wieder zu sparsam war, sie mitzunehmen. Am frühen Morgen bereute ich aber schon die Entscheidung und wollte auf dem Weg nochmal zum Geschäft, doch es war leider noch geschlossen und öffnete zu spät, als dass ich hätte warten können. Denn beim wandern fängt der frühe Vogel den Wurm. Sprich wer zuerst in der Pilgerherberge eintrifft, ergattert einen Platz. Also zog ich traurig weiter und berichtete es meiner neuen Freundin. Ein paar Wochen später trafen wir uns dann in Hamburg und sie überraschte mich mit dieser Fliese. Was ein glücklicher Mensch ich doch bin.

Und so entstand peu à peu das Magazin. Ein Herzensprojekt, das ich noch nicht ganz aufgegeben habe und davon träume, es vielleicht eines Tages fortzuführen. Meine Inspiration sind Menschen und ihre Erlebnisse, Erkenntnisse und Ideen. Sie erfüllen mein Herz und ich möchte andere Herzen füllen.

Hier nun mal ein kleiner Eindruck. PS.: diese Arbeit ist von 2018. Klar, rückblickend hätte ich gerne einiges noch etwas anders angepasst. Und trotzdem. Ich bin stolz auf diese Arbeit und ich finde, wir sollten alle mal etwas öfter auf etwas stolz sein, das wir geleistet haben, auch wenn es nicht perfekt ist.



Das Vollkommene ist unmenschlich, denn das Menschliche ist unvollkommen.

— F E R N A N D O P E S S O A

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Sein oder nicht sein — Unsere Beziehung mit dem Handy